Besser entscheiden
in der Energiewende

Wie kann Optimierung Energieversorgern und Verbrauchern helfen, bessere Entscheidungen während der Energiewende zu treffen?

Interview mit Dario Hashemi, Analytics Consultant bei OPTANO GmbH

Energie ist eine der wertvollsten Ressourcen, die eine Wirtschaft hat. Ohne Energie kann die Industrie nicht funktionieren, die Fertigung würde zum Stillstand kommen, lebenswichtige Produkte würden nicht dorthin gelangen, wo sie gebraucht werden. Einfach ausgedrückt: Ohne Energie würde die Wirtschaft zusammenbrechen.

Nehmen wir zum Beispiel Deutschland: Als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, die in hohem Maße von ihrer verarbeitenden Industrie abhängig ist, verbraucht sie riesige Mengen an Energie, um ihre Wirtschaft am Laufen zu halten. Jährlich werden ca. 500 TWh an Strom verbraucht. Kein Wunder also, dass der steile Anstieg der Energiepreise den Industriesektor des Landes hart getroffen hat.

Inzwischen ist sowohl den Energieversorgern als auch den Verbrauchern und insbesondere der Industrie klar, dass die langfristige Umstellung auf erneuerbare Energien nicht mehr eine Frage des Ob ist, sondern des Wann – und des Wie. Dennoch ist die Umstellung auf erneuerbare Energien mit einem hohen Maß an Unsicherheit bei allen Akteuren und veränderten Marktbedingungen verbunden. Gleichzeitig bietet die Energiewende aber auch viele Chancen.

Dario Hashemi ist seit kurzem als Analytics Consultant bei OPTANO tätig. Er sprach mit unserem Business Development Managerin, Denise Lelle, darüber, wie Energieversorger und -verbraucher die Chancen der Energiewende nutzen können, und wie Optimierungssoftware sie bei ihrer Entscheidungsfindung unterstützen kann.

Hallo Dario. Mit dem Klimaschutzgesetz werden die Energiewirtschaft und Industrie zum Handeln gezwungen. Doch gefühlt stecken die Unternehmen in einem „Krisenhamsterrad“ fest: Corona, Klimakatastrophen, Krieg, die Energiekrise, … . Wie kann die Energiewende dennoch gelingen? Und wie können Unternehmen Stolperfallen vermeiden oder gar von dem Wandel profitieren?

Dario Hashemi

Nun, es ist sicherlich richtig, dass die von Dir genannten Krisen und die Klimaziele zu großen Umwälzungen im Energiesektor geführt haben. Allerdings erholt sich der Energiesektor von all diesen „Schocks“ und viele Erzeuger haben erkannt, dass man auch aus der Krise viel gewinnen kann.

Die Einspeisung erneuerbarer Energien in die Netze hat einen erheblichen Einfluss auf die Energiepreise, die so unbeständig sind wie das Wetter selbst (lacht). Diese Preisschwankungen haben zwar für viel Risiko und Unsicherheit gesorgt, aber die Marktakteure haben auch die Möglichkeit, davon zu profitieren, wenn sie sich auf dem Markt richtig positionieren. So profitieren sie von großen Preisspannen, indem sie z.B. niedrige Preise ergreifen, wenn erneuerbare Energien ins Netz eingespeist werden, und hohe Preise während der Flaute (wenn die Einspeisung ins Netz gering ist). Wer jedoch von den Preisen im kurzfristigen Stromhandel profitieren will, muss vor allem agil und flexibel sein.

Chancen gibt es, aber man muss flexibel sein, um in kurzfristigen Märkten die Chancen zu nutzen

Wie schafft es die Energiebranche und die Wirtschaft flexibel auf diesen kurzfristigen Markt zu reagieren? Kannst du Beispiele nennen?

Dario Hashemi

Lass mich erst kurz erklären, was ich mit „kurzfristigem“ Markt meine: Es gibt verschiedene Märkte, auf denen Energie gehandelt (gekauft/verkauft) wird. Sie unterscheiden sich strukturell voneinander. Der Spotmarkt z.B. ist Day-Ahead-basiert mit stündlichen Produkten. Also, heute handeln, morgen liefern. Im Gegensatz dazu kann man z.B. auf dem Intraday-Markt bis kurz vor der Lieferung noch handeln. Dies ist vor allem für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien relevant. Wenn zum Beispiel die Windparks im Paderborner Land bei einem kurzen Sturm zu viel Strom erzeugen, kann der Preis für diesen Strom noch wenige Sekunden vor dem Sturm ausgehandelt werden.

Aber auf Deine Frage zurückzukommen, Denise. Diese kurzfristige und kontinuierliche Märkte gewinnen immer mehr an Bedeutung. Die Strommärkte sind börsenbasiert, und Angebot und Nachfrage bestimmen die Preise. So führt die Einspeisung aus dem Paderborner Windpark zur Preissenkung im Markt.

Im Grunde haben die Energieversorger auf dem Markt nur ein Ziel vor Augen: eine optimale Rendite. Doch wie können sie dieses Ziel erreichen? Hier müssen die Erzeuger und Anbieter sehr komplexe Entscheidungen treffen: Auf welchem Markt sollen sie verkaufen, wann und wie viel sollen sie verkaufen? Auch die Frage: Wie viel Energie können sie speichern – und wann?

Zunächst brauchen sie meiner Meinung nach einen agilen Prozess in Kombination mit flexiblen Anlagen bzw. Assets wie Pumpspeicherwerken, Batterien, Wärmespeichern usw. Mit anderen Worten: Wenn ich Anlagen habe, die ich beliebig flexibel hoch- und runterfahren kann, ist es für mich viel einfacher, mich am Markt gut zu positionieren.

Und wie können die Verbraucher ihre Energiekosten senken?

Dario Hashemi

Während die Energieversorger ihre Energie zum bestmöglichen – oder besser gesagt höchsten – Preis verkaufen wollen, ist das Ziel der Verbraucher das Gegenteil. Sie wollen Energie zu einem möglichst niedrigen Preis einkaufen. Sie müssen also entscheiden, wann sie kaufen und was sie kaufen. Und sie müssen wissen, welcher Markt für sie am besten geeignet ist.

Meiner Meinung nach müssen die Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes ihr Ziel überdenken. Sie sollten sich jetzt mit der Frage beschäftigen, wie sie Energie verwalten können, anstatt sie nur zu kaufen. Sie müssen sich auf Fragen konzentrieren wie: Lohnt es sich, in Energiespeichersysteme und erneuerbare Energie zu investieren? In welchem Umfang kann unser Unternehmen mit Energie Geld verdienen? Wie können wir unseren Energieverbrauch- und Kosten senken?

Letzten Endes läuft alles auf eines hinaus: Egal, ob man Energie liefert oder verbraucht, es ist jetzt an der Zeit, sich umzustellen. Flexibilität ist Geld.

Die Möglichkeiten der mathematischen Optimierung sind quasi endlos und in jeder Branche einsetzbar.

Das klingt nach vielen komplexen Entscheidungen, vor denen Energieerzeuger und -verbraucher stehen. Hast du einen guten Tipp für all jene in den Unternehmen, die diese Entscheidungen treffen müssen?

Dario Hashemi

Wie bereits erwähnt, müssen Energieversorger und -verbraucher über agile, intelligente Prozesse verfügen. Auf der Seite der Erzeuger kann dies sie bei ihren Handelsentscheidungen unterstützen. Und für die Verbraucher ist es notwendig, damit sie ihren Energieverbrauch an die Preise auf dem Markt bzw. an die Verfügbarkeit von Energie anpassen können, um Kosten zu sparen.

Ein weiterer Punkt ist die Transparenz. Energieversorger  und -verbraucher verfügen über eine Fülle von Daten. Als Energieversorger können das die Sensordaten von Windrädern oder Photovoltaikanlagen oder Speicherfüllstände sein. Als Verbraucher können es die Daten sein, die auf Maschinen gespeichert sind. Die Unternehmen wissen jedoch oft nicht, wie sie diese Daten zu ihrem Vorteil nutzen können. Deshalb ist ein gutes Datenmanagement so wichtig. Unternehmen erhalten einen viel besseren Überblick über die Leistung ihrer Prozesse und Anlagen, wenn sie alle relevanten Daten in ein effizientes System integrieren, zusammen mit externen Daten über die aktuelle Marktsituation und sogar das Wetter. All diese Daten müssen dann aber auch analysiert und berechnet werden, um das Optimum herauszuholen. Und hier kommt Optimierungstechnologie, die OPTANO auch anwendet, ins Spiel…

Wie kann Optimierungstechnologie Unternehmen helfen, Entscheidungen im Hinblick auf den Energiewandel zu treffen?

Dario Hashemi

Unternehmen können eigene Prozesse, Strukturen und Fragestellungen im Rahmen eines Optimierungsmodells abbilden. Somit können sie konkrete Handlungsempfehlungen für Ihr Unternehmen ableiten und die bestmöglichen Entscheidungen treffen: Von operativen Entscheidungen, z.B. wann produziere ich in welchen Mengen, bis hin zu strategischen Fragen, wie Standortentscheidungen für Stromspeicher. Bei all dem sind individuelle Rahmenbedingungen und insbesondere alle Einschränkungen, Variablen und Ziele zu berücksichtigen.

Wie du dir vielleicht vorstellen kannst, ist das aber sehr komplex. Hilfreich ist es, wenn man hierbei schon auf ein bestehendes System aufbauen kann. Wir nutzen hierfür unsere OPTANO-Plattform. Die Plattform wendet Predictive Analytics, eine Form von ML, an, um Vorhersagen über Zeitreihen/Datenentwicklungen im Energiesektor zu machen, und dann mit Hilfe der mathematischen Optimierung bzw. Prescriptive Analytics konkrete Empfehlungen für die besten Maßnahmen zur Umsetzung strategischer oder operativer Ziele zu geben.

Die Plattform ermöglicht es auch, Was-wäre-wenn-Szenarien zu erstellen, in denen alle verschiedenen Optionen analysiert und verglichen werden können. So kann man sehen, welche Auswirkungen eine bestimmte Entscheidung haben könnte: Würde es sich für einen Windparkbetreiber lohnen, neue Anlagen zur Speicherpotenzial zu errichten? Wenn ja, welcher Art? Batterie, Wärmespeicher, Wasserstoffelektrolyse und -Speicher? In welchem Umfang? Sollte ein Betreiber von Photovoltaikanlagen in mehr Speicherkapazität investieren? Oder in der Industrie: Was würde passieren, wenn bestimmte Maschinen nur noch für bestimmte Prozesse eingesetzt würden? Kann ich Zwischenspeicher und andere Flexibilitätsmöglichkeiten besser nutzen? Wäre es sinnvoll, bestimmte Produktionsprozesse in Schwachlastzeiten zu verlagern?

Die Möglichkeiten der mathematischen Optimierung sind quasi endlos und in jeder Branche einsetzbar. Und das Wichtigste ist: Man erhält schnell und einfach die Ergebnisse, die man braucht, um gute Entscheidungen zu treffen.

Mit Hilfe von Optimierungstechnologie erlangen Unternehmen die nötige Flexibilität, die sie zu ihrem Vorteil nutzen können.

Das klingt nach dem idealen Werkzeug für Energiefragen. Danke für deine Erläuterung. Abschließend habe ich noch eine Frage: Du hast gerade Szenarien angesprochen. Auf welche Szenarien sollten sich Energie-Verbraucher und -Hersteller jetzt vorbereiten?

Dario Hashemi

Energie wird in Zukunft ein wichtiger Entscheidungsfaktor sein – und das branchenübergreifend. Die meisten Unternehmen verfügen jedoch nicht über Fachkräfte, die sich mit Energiefragen befassen und fundierte Entscheidungen über den Energieverbrauch, den Stromhandel usw. beraten oder treffen können. Diese Expertise sollte meiner Meinung nach ausgebaut werden. Aber zudem sollten Unternehmen Hilfsmittel nutzen, um sich den komplexen und oftmals kurzfristigen Herausforderungen zu stellen.

Sowohl Energiehersteller als auch -verbraucher profitieren besonders stark von Optimierungstechnologien. Denn mit diesen können sie – basierend auf vielfältigen Daten und Einschränkungen – die bestmöglichen Entscheidungen treffen, z.B. bei der Investitionsplanung, bei der Positionierung auf den Märkten, bei der Gewährleistung der Netzstabilität, und so weiter. Mit Hilfe von Optimierungstechnologie erlangen Unternehmen die nötige Flexibilität, die sie zu ihrem Vorteil nutzen können. Sie bietet ein großes Potenzial für neue Geschäftsmodelle und hilft, den Gewinn zu maximieren. Wie ich bereits erwähnt habe, sind enorme Chancen vorhanden. Unternehmen müssen jedoch bereit sein, flexibel zu sein.

Herzlichen Dank für die Einblicke in den Energiemarkt, Dario!

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